Der sensorische Ausdruck des Weins, seine sensorische Qualität, beruht auf der Wirkung seiner Inhaltsstoffe auf die Sinnesorgane. Da sich einzelne Komponenten mit der Zeit verändern, verändert sich auch ihr Zusammenspiel und somit der Ausdruck. Der Alterungsprozess beginnt schon mit Abschluss der Gärung und findet somit im Gär-/Lagertank, gegebenenfalls während des Ausbaus im Holzgefäß und natürlich in der Flasche statt. Er dauert umso länger, je vielfältiger das Ausdruckspotential der einzelnen Inhaltsstoffe ist.
Einen ausgewogenen sensorischen Ausdruck bezeichnen wir als Harmonie. Ist sie einmal erreicht, sollte der Wein getrunken werden, da in der weiteren Entwicklung die Harmonie wieder verloren geht. Junge Weine, also praktisch alle Roséweine, die meisten Weißweine und Rotweine ohne Barrique-Ausbau, bedürfen für ihre Trinkreife einer Flaschenlagerung zwischen sechs Monaten und zwei Jahren.
Bei Verwendung von Korkverschlüssen entwickeln sich die einzelnen Flaschen unterschiedlicher als bei Kunststoff- oder Schraubverschlüssen. Überprüfen lässt sich der Reifezustand des Weines nur durch Verkosten.
Tannin: Veränderung des sensorischen Ausdrucks
Ein wesentlicher Bestandteil von Rotweinen sind Phenole, -bei Weißweinen sind sie sensorisch i.d.R. irrelevant. Deren wirkmächtigster Vertreter ist das Tannin. Dessen Wirkung auf die Schleimhäute ist vielfältig. Sensorisch besonders bedeutsam ist die Adstringenz. Diese ändert sich mit der Zeit durch Polymerisation. Die adstringente Wirkung des Tannins wirkt bei fortschreitender Polymerisation weniger dominant und fügt sich somit in ein gleichmäßiges und simultanes Zusammenspiel aller Inhaltsstoffe ein.
Wir haben zur Veranschaulichung der Entwicklung des sensorischen Ausdrucks drei Inhaltsstoffe von Rotweinen ausgewählt, die auch für ungeübte Verkoster leicht zu erkennen sind: Alkohol, Säure und Tannin. In den nachfolgenden drei Abbildungen wird der sensorische Ausdruck dieser Inhaltsstoffe während der Reifephase des Weines dargestellt. Entscheidend ist hier der sich deutlich verändernde Ausdruck der Tannine. Alkohol und Säure erfahren keine nennenswerte Änderung.
Das Verhältnis von Alkohol, Säure und Tannin bei Rotwein während der Alterung
Abbildung 1: Junger Wein kurz nach Abschluss der Gärung
Die hohe Adstringenz der jungen, noch wenig polymerisierten, Tannine überlagert die sensorische Wirkung anderer Inhaltsstoffe. Die Dauer dieser Entwicklung hängt von Art und Menge der vorhandenen Tannine ab und hat große Bedeutung für die sensorische Bewertung des Weins. Durch kontrollierte Zufuhr von Sauerstoff (Mikro-Oxidation) kann man diesen Prozess beschleunigen.
Abbildung 2: Optimale Trinkreife
Einen ausgewogenen sensorischen Ausdruck bezeichnen wir als Harmonie im Verhältnis der visuell, olfaktorisch, geschmacklich und haptisch wahrnehmbare Inhaltsstoffe, die idealerweise aus allen drei Entstehungsphasen (Weinanbau, Ausbau und Alterung) des Weines stammen. Die Komponenten verschmelzen zu einem, dem jeweiligen Weintypus entsprechenden, Ganzen. Einmal erreicht, sollte der Wein getrunken werden, da der Entwicklungsprozess fortfährt und die Harmonie wieder verloren geht. Überprüfen lässt sich der Zustand des Weines nur durch verkosten. Bei Verwendung von Naturkork ist eine unterschiedliche Entwicklung einzelner Flaschen wahrscheinlich.
Abbildung 3: Gereifter Rotwein mit hoher Polymerisation
Durch den Reifeprozess in der Flasche haben die Tannine polymerisiert und sind, z.T. als sichtbares Sediment in der Flasche, ausgefällt. Sie fehlen daher im Wein und ihre Wirkung auf die Schleimhäute reduziert sich. Dieser Prozess lässt sich auch anhand der Entwicklung der Weinfarbe erkennen. Der Farbton verändert sich von Purpur beim jungen Wein zu orangenen Farben bei lange gereiften Weinen. Auch verringert sich die Farbintensität.
Miguel Matthes
Sommelier - Winemaker